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Vaginismus – Das Gefängnis der Einsamkeit

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Vaginismus ist die unwillkürliche Verkrampfung der Beckenbodenmuskulatur, welche ein Einführen und ein Eindringen in die Vagina schwierig bis unmöglich macht. 
Davon betroffen können das Verwenden von Tampons oder einer Menstruationstasse sein. Die gynäkologische Untersuchung kann durch Vaginismus erschwert werden. Und weiters kann das Eindringen eines Penis, das Einführen eines Fingers und/oder das Verwenden von Sexspielzeug Probleme bereiten. Das Ganze geht immer mit Schmerzen und Scham einher.

Über Vaginismus wird, so wie bei vielen anderen sexuellen Problemen, in der Gesellschaft geschwiegen. Die Betroffenen fühlen sich abnormal und trauen sich nicht gegenüber anderen zu öffnen. Das Gefühl der Einsamkeit bringt aber eine zusätzliche Belastung mit sich.

Ich selbst litt 15 Jahre lang an primären Vaginismus und verheimlichte es eine sehr lange Zeit, weil ich mich so sehr dafür geschämt habe. Vor ca. 6 Jahren habe ich den Vaginismus besiegt. Ich bekämpfte den Vaginismus mithilfe von jahrelanger Sexualtherapie, Dilatorentraining und Beckenbodenübungen. Im Endeffekt war das letzte fehlende Puzzleteil das Sprechen mit FreundInnen.

Die Einsamkeit frisst einen auf

Jahrelang habe ich mir bildhaft mein eigenes Gefängnis geschaffen, weil ich mich so sehr für den Vaginismus geschämt habe. Ich dachte, dass ich eine halbe Frau bin, nicht voll funktionsfähig und wertlos. Ich habe mich an meiner Sexualität „gemessen“ und hierbei festgestellt, dass das einfachste dieser Welt – „penetrativer Sex“ – mit mir nicht möglich ist. Ich hatte große Angst, dass jemand hinter mein Geheimnis kommen könnte und erschuf mir ein Lügenkonstrukt, damit es ja niemand jemals herausfindet. Ich trug nach außen hin immer meine Maske, damit niemand wusste, wie es mir wirklich geht. Wie verzweifelt ich in Wirklichkeit war und wie ich hinter verschlossenen Türen dafür kämpfte „normal“ zu sein. Ich wollte einfach dazugehören und nicht ein „Freak“ oder ein „Sonderling“ sein. Bis zu meiner Diagnose Vaginismus war ich mir ja nicht mal sicher, ob ich mich nicht einfach nur „blöd anstellte“.

Dieses Gefühl der Einsamkeit und des Schweigen tat so unendlich weh. Ich hatte tausend Ängste, die mich vom Sprechen abhielten: Ich hatte Angst ausgelacht zu werden, ausgeschlossen zu werden, nicht ernst genommen zu werden, verachtet zu werden, für immer alleine zu bleiben,…

Ich lernte mit der Zeit immer mehr zu schweigen, selbst wenn ich Schmerzen bei penetrativen Sexversuchen hatte, lag ich teilweise stumm in meinem Bett. Ich wollte nicht schon wieder die Spielverderberin oder die Spaßbremse sein, die das Ganze mittendrin abbricht. Ich dachte, ich müsste die Schmerzen einfach aushalten, vielleicht könnte ich ja damit den Vaginismus „durchbrechen“.

Ich müsste doch einfach nur die Zähne zusammenbeißen. Doch das Aushalten ging meistens nur eine kurze Zeit lang gut, diese Schmerzen waren einfach unerträglich. Teilweise hatte ich mich aus den Situationen regelrecht weggebeamt. Das fühlte sich wirklich so an, als würde ich an der Zimmerdecke schweben und unten im Bett mein Körper liegen würde, mit dem jemand versuchen würde penetrativen Sex zu haben.  Doch die starken Schmerzen holten mich immer wieder zurück in die Realität und im Endeffekt musste ich dann doch wieder die Situation abbrechen und weinen. Ich hatte wieder mal „versagt“.

Der Ausbruch aus dem Gefängnis der Einsamkeit

Mit späteren Jahren wuchs dann doch der Drang mich öffnen zu wollen und mich mit Vaginismus-Betroffenen auszutauschen, ich wusste aber nicht wie ich mit ihnen in Kontakt kommen könnte.

Zuerst probierte ich es über ein Internet-Forum. Ich schrieb einen Beitrag in dem ich mit meinen bisherigen Erfolgen anderen Betroffenen Mut machen wollte. Dieser Versuch blieb leider ziemlich erfolglos. Nur wenige reagierten auf meinen Beitrag. Meist waren es einzelne interessierte Personen, ganz selten meldeten sich Vaginismus-Betroffene und wenn nur ein einziges Mal, bis sie wieder komplett von der Bildfläche verschwanden. Da der Austausch mit Vaginismus-Betroffenen ohne Erfolg blieb, wuchs doch noch der Wunsch mein Leid mit anderen mir nahestehenden Personen darüber zu teilen.

Kurz nach meinem Beziehungsende und ungefähr ein halbes Jahr bevor ich den Vaginismus besiegte, beschloss ich endlich zu reden. Ich öffnete mich langsam einigen Freundinnen. Jedes einzelne Wort fühlte sich so befreiend an. Ich bemerkte wie sich ein dicker Knoten in meiner Brust löste und wie die schwere Last von meinen Schultern fiel, die ich die ganze Zeit mit mir herumgetragen hatte. Kaum jemand kannte Vaginismus bzw. hatte darüber schon mal etwas gehört. Ich versuchte es daher so gut wie möglich zu erklären: Wie sich Vaginismus anfühlt, was die Symptome sind, welche Einschränkungen ich dadurch habe und was ich die letzten Jahre erlebt und wie ich dadurch gelitten hatte.

Alle reagierten ausnahmslos positiv und waren teilweise sehr schockiert. Manche kannten mich ja doch bereits seit Jahren und waren erstaunt, wie ich so lange darüber schweigen konnte und mir rein gar nichts anzumerken war. Niemand von meinen Freundinnen hatte selbst Vaginismus, aber alle versuchten mich zu verstehen und mich zu unterstützen.

Dieser Austausch half mir bei mehreren Punkten:

  • Sie machten mir begreiflich, dass Schmerzen beim Sex niemals in Ordnung sind. Und, dass sie alle auch manchmal Schmerzen oder beispielsweise Trockenheit beim penetrativen Sex verspüren und sie dann sofort Stop sagen und etwas dagegen tun oder sogar das Ganze einfach abbrechen.
  • Weiters erzählten sie mir wie schön penetrativer Sex sein kann. Ich verband damit ja nur Schmerzen. So dachte ich mir das erste Mal, dass penetrativer Sex vielleicht doch ganz schön sein könnte.
  • Und zu guter Letzt motivierten meine Freundinnen mich, dass ich beim penetrativen Sex mehr aktiv, als passiv sein sollte. So realisierte ich, dass ich auch Wünsche äußern dürfte.

Ich spürte, wie gut es tat darüber zu sprechen. Die Gespräche mit meinen Freundinnen halfen mir im Endeffekt so sehr und brachten mich meinem Ziel der Vaginismus-Reise immer näher, wodurch ich dann auch vor ca. 6 Jahren den Vaginismus besiegen konnte. In der Zeit danach waren meine Freundinnen noch immer meine Stütze und gaben mir ganz viel Kraft und Zuspruch. Sie waren so stolz auf mich und freuten sich mit mir. Das Ganze war wie Balsam auf meiner Seele.

Vaginismus ade – Reden hilft

Sobald ich den Vaginismus besiegt hatte, verspürte ich den Wunsch anderen Betroffenen zu helfen. Ich hatte diese 15 Jahre lange Reise mit negativen Erfahrungen gemacht und wollte daraus etwas Positives schaffen. Ich verspürte den Wunsch mit meinen Erlebnissen anderen Betroffen Mut zu machen und diese zu unterstützen. Doch ich wusste wieder nicht wie ich mit Vaginismus-Betroffenen in Kontakt kommen sollte.

In den letzen Jahren schrieb ich zuerst meine Vaginismus-Geschichte nieder, um sie mit anderen Betroffenen zu teilen, scheiterte schlussendlich aber an der Impressumspflicht für Homepages in Österreich. Ich wollte anonym bleiben und somit war der Austausch in einer Form einer Homepage leider nicht möglich.

Erst später entwickelte sich die Idee, eine Selbsthilfegruppe für Vaginismus-Betroffene in Wien zu gründen. Ich wollte eine Möglichkeit zum vertraulichen Austausch von Vaginismus-Betroffenen und ehemaligen Betroffenen schaffen.Was anfänglich nur ein Gedankenspiel war, entwickelte sich mit der Zeit immer mehr zu einer fixen Idee, die ich unbedingt umsetzen musste. Und so kam es, dass ich mich zuerst zu einem Gründungsberatungsgespräch bei der Wiener Gesundheitsförderung anmeldete, welches den 1. Meilenstein zur Gründung einer Selbsthilfegruppe setzte und schlussendlich im Juni 2019 zur Gründung der Selbsthilfegruppe für Vaginismus-Betroffene („Invisible Wall“) in Wien führte.

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