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Selbsthilfegruppe für Vaginismus-Betroffene – Der Weg aus der Einsamkeit

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„Ich spiele regelmäßig mit Freunden Basketball“, „ich gehe in meiner Freizeit gerne mal Mountainbiken“ oder „ich besuche seit kurzem einen Salsa-Tanzkurs“, sind alles Aktivitäten über die man leicht und gerne mit seinen FreundInnen bzw. Familie spricht. Aber wie schaut es aus, wenn ich regelmäßig eine Selbsthilfegruppe (z.B. für Vaginismus-Betroffene) besuche? Würde ich das auch meinen FreundInnen und meiner Familie sofort erzählen? Oder würde ich das lieber verschweigen und mich in der Einsamkeit verstecken? Selbsthilfegruppen sind ja auch nichts Alltägliches, was jede/r so gut kennt. Was passiert dort überhaupt genau?

Selbsthilfegruppentreffen = trauriger Sesselkreis?

Vielen ist sicher aus Filmen bekannt, wie so ein Selbsthilfegruppentreffen ungefähr abläuft. Meistens sitzen alle TeilnehmerInnen in einem Sesselkreis. Nacheinander stehen die Personen von ihrem Sessel auf und stellen sich bei allen vor. Man sagt seinen Namen und wie lange man schon das jeweilige „Problem“ hat. Die Atmosphäre ist eher kühl und alle sind traurig. Eigentlich zieht man sich gegenseitig runter und fühlt sich nicht so wirklich wohl. Oft sind dort auch eher ältere Personen, weil junge Personen brauchen sowas doch gar nicht, oder? Klingt nicht gerade verlockend dieses Bild einer Selbsthilfegruppe.

Die Gründung der Selbsthilfegruppe

Aber wie kam es dazu, dass ich trotzdem vor 1 Jahr eine Selbsthilfegruppe gegründet habe? Ich hatte 15 Jahre lang primären Vaginismus. Das ist die unwillkürliche Verkrampfung der Beckenbodenmuskulatur, welche ein Einführen/Eindringen in die Vagina schwer bis unmöglich macht. Mein größter Fehler auf meiner Vaginismus-Reise war mein Schweigen. Ich habe kaum mit jemanden darüber gesprochen, weil ich mich so sehr dafür geschämt habe.

Erst sehr spät vertraute ich mich Freundinnen an und realisierte, wie wichtig es ist, sich auszutauschen, um mit seinen Problemen nicht alleine zu sein. So entstand dann auch, nach meiner Heilung vor ca. 6 Jahren, mein größter Wunsch anderen Betroffenen zu helfen und eine Plattform für den sicheren Austausch von Gleichgesinnten zu schaffen. Dieser Wunsch wurde letztes Jahr Realität: Nach einem Erst-Beratungsgespräch bei der Wiener Gesundheitsförderung und nach einigen Monaten Vorbereitung gründete ich im Juni 2019 die 1. Selbsthilfegruppe für Vaginismus-Betroffene „Invisible Wall“ in Wien.

Ablauf eines Selbsthilfegruppentreffen

Aber wie schaut denn so ein Selbsthilfegruppentreffen für Vaginismus-Betroffene in der Realität aus? Willkommen sind alle, die von Vaginismus aktuell betroffen sind und diejenigen, die bereits den Vaginismus überwunden haben. Wir treffen uns 1x pro Monat für 2h in einem angemieteten Raum in Wien. Dort gibt es zwar die Möglichkeit auf Sesseln zu sitzen, doch wir bevorzugen das gemütliche Sitzen/Liegen auf Matten.

Wenn neue Mitglieder dabei sind gibt es anfangs immer eine kleine Vorstellrunde. Hier beginne ich als Gründerin immer zuerst von mir zu erzählen und dann nacheinander die Mitglieder, die bereits schon länger dabei sind. So bekommen die neuen Mitglieder zuerst einmal die Möglichkeit bei den anderen zuzuhören. Es steht jeder Person frei etwas zu sagen. Niemand ist verpflichtet etwas preiszugeben. Doch oft kommt ja der Wunsch selbst in einem hoch etwas zu sagen, weil man ja bereits jahrelang meistens geschwiegen hat. Es dürfen jederzeit gerne Fragen an alle gestellt werden.

7 SHG-Treffen haben bereits stattgefunden und wir haben mittlerweile auch ein Hauptthema (wie z.B. das Thema Lust oder Dilatorentraining) für jedes SHG-Treffen eingeführt, welches wir immer am Ende jedes Treffen fürs nächste Mal festlegen. Zum Hauptthema können dann alle ihre Erfahrungen teilen und es entsteht ein angenehmer Austausch miteinander. Theoretisch ist die Gestaltung der SHG-Treffen sehr frei. Ich orientiere mich da auch an den Wünschen der Teilnehmerinnen, damit es für alle ein angenehmer und informativer Abend wird.

Am Schluss jedes SHG-Treffens machen wir auch immer eine kleine Abschlussrunde um den Abend gemeinsam Revue passieren zu lassen. Alles in allem sprechen wir zwar über seriöse Themen, aber wir lachen auch viel miteinander. Der Austausch in der SHG ist immer sehr respektvoll und es kann über alle Tabuthemen offen und schamlos gesprochen werden.

Raus aus der Einsamkeit

Ich habe auch bei den SHG-Teilnehmerinnen nachgefragt, was denn ihre Beweggründe sind/waren um Teil der Gruppe zu werden. Hier wurde öfters genannt, dass es gut tut zu sehen, dass man nicht alleine mit dem „Problem“ ist und endlich darüber sprechen kann. Man erkennt sich in den Geschichten der anderen wieder und man fühlt sich dadurch endlich verstanden und „normaler“. Beim Austausch mit Gleichgesinnten erhofft man sich Tipps jeglicher Art und zu sehen, wie andere Betroffene mit dem Thema umgehen. Man möchte Mut und Kraft schöpfen, um das eigene „Problem“ zu bewältigen. Sehr motivierend ist es auch zu sehen/erfahren, wie diejenigen, die nicht mehr von Vaginismus betroffen sind, es geschafft haben ihn zu „besiegen“. Manche haben auch rückgemeldet, dass sie durch die SHG-Treffen lernen auch offener im Privatleben darüber zu sprechen.

Hindernisse am Weg

Weiters habe ich auch nachgefragt, was denn anfangs die Hemmungen sind/waren zu einem SHG-Treffen zu gehen. Viele haben/hatten Bedenken als Neuling zu einer bereits bestehenden Gruppe zu gehen. Manche hatten Angst von den anderen Teilnehmerinnen, wegen ihrer Denkweise „beurteilt/verurteilt“ zu werden, z.B. bezüglich ihrem Umgang mit Vaginismus und Sexualität.

Die Teilnehmerinnen der SHG sind aber alle sehr offen und sympathisch. Und diejenigen, die schon länger dabei sind, freuen sich immer wieder wenn auch neue Mitglieder dazukommen. Auch die Angst bezüglich Anonymität spielt eine große Rolle in der Entscheidung zu einem SHG-Treffen zu gehen. Was ist, wenn bereits bekannte Gesichter dort sind? Manchmal ist die „Welt echt ein Dorf“, aber sagen wir so, falls wirklich ein bekanntes Gesicht beim SHG-Treffen ist, dann hat diese Person exakt dasselbe Problem wie man selbst. Das heißt wir sitzen alle im selben Boot und sind sozusagen Verbündete. Alles was bei den SHG-Treffen besprochen wird ist vertraulich und soll nicht nach außen getragen werden.

Als weitere Hemmung wurde genannt, dass sobald man zu einem SHG-Treffen geht das Gefühl hat, dass man es alleine nicht schafft sein Problem zu bewältigen. Hier ist wieder der gesellschaftliche Druck sehr präsent: Man muss nach außen hin perfekt sein und darf nicht scheitern. Dabei haben so viele Menschen auf dieser Welt den eigenen „Rucksack“ zu tragen und leiden darunter. Doch niemand sollte mit den „Problemen“ alleine sein und deswegen ist ein Austausch so wichtig und auch hilfreich.

Den Weg gemeinsam gehen

Ich bin unendlich froh diese Selbsthilfegruppe als Möglichkeit zum Austausch gegründet zu haben, damit sich Betroffene nicht mehr so alleine fühlen und von den Erfahrungen der anderen profitieren zu können. Es ist für mich jedes Mal ein berührendes Gefühl die Geschichten der TeilnehmerInnen zu hören und ihnen auf ihrer Vaginismus-Reise viel Kraft, Energie und Erfahrungen mitzugeben.

Gastbeitrag von Christina

Mehr zum Thema Vaginismus findet ihr unter: instabio.cc/invisiblewallvienna oder auf Instagram https://www.instagram.com/invisible.wall.vienna

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