V

Vaginismus, der steinige Weg meiner Vagina

vaginismus-der-steinige-weg-meiner-vagina

Man lest sie immer diese Horrorgeschichten vom ersten Mal, wie stark die Schmerzen sein können und wie furchtbar es sein kann. Was soll ich sagen? Diese Horrorgeschichten wurden auch bei mir wahr. Ich war fünfzehn, hatte meinen ersten Freund und wir wollten zum ersten Mal miteinander schlafen, doch es funktionierte einfach nicht. Es war unmöglich, dass er seinen Penis in meine Vagina einführte, die Schmerzen waren so unvorstellbar stark, ich hielt es nicht aus. Ich konnte diese Schmerzen nicht zuordnen, konnte sie nicht vergleichen und nicht sagen ob sie zu stark waren oder normal. Ich wusste es einfach nicht, denn ich hatte einfach keinen Vergleich. 

Eine unsichtbare Wand baut sich auf 

Ich habe mir nichts dabei gedacht, dass mein erstes Mal nicht geklappt hat. Genauso wenig habe ich mir etwas dabei gedacht, als ich mir bei meiner ersten Periode auch kein Tampon einführen konnte, weil die Schmerzen fiel zu groß waren. Bis auf die Schmerzen gab es einfach keinerlei Anzeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Statt Tampons verwendete ich einfach Binden und beim Sex dachte ich einfach, dass es vielleicht daran läge, dass es nicht meine große Liebe sei und ich diese erst finden müsse. Nach einigen kurzfristigen Beziehungen lernte ich meinen damaligen Freund kennen. Ich dachte, dass es nun bestimmt funktionieren würde, doch selbst nach einem Jahr und diversen Hilfsmitteln, hatten wir es nicht geschafft, miteinander zu schlafen. Oralverkehr war absolut kein Problem, doch sobald sein Penis in meine Vagina eindringen wollte, entfachten die höllischen Schmerzen. Ich war verzweifelt. Es konnte doch nicht normal sein, dass ich jedes Mal so starke Schmerzen hatte.

Therapien, doch die Wand blieb stehen

Ich suchte Hilfe und Rat bei meinem Frauenarzt, doch dieser hatte nicht wirklich Verständnis für mein Problem. Er war der Meinung, dass ich einfach jeden Tag Sex haben sollte und mit Dilatoren üben müsste. Sextraining war praktisch seine Lösung für mein Problem. Für mich schier unmöglich, wie sollte das klappen, wenn ich nicht mal Tampons verwenden konnte? Zum Schluss riet er mir noch zur Psychotherapie, die ich in Erwägung zog. Ich suchte mir jemanden mit dem Spezialgebiet Sexualkunde. Auch wenn es keine Paartherapie war, begleitete mich mein Freund zu einigen Sitzungen. Zwei jahrelang unterzog ich mich dieser Therapie, jedoch ohne Erfolg. Mein Problem wurde als sexuelle Funktionsstörung mit mangelnden Selbstvertrauen zu meinem Freund abgestempelt. Ich hätte zu wenig Vertrauen in meinem Partner und müsste dieses nur aufbauen, hieß es. Jede noch so kleine Anmerkung nahm ich mir zu herzen, arbeitete mit voller Härte an mir, doch meine Vagina weigerte sich, dem Penis Eintritt zu gewähren.

Stein für Stein löst sich die Wand 

Nach langem Grübeln entschloss ich mich dazu, die Therapie abzubrechen und versuchte es mit Sexualtherapie. Und siehe da, gleich bei meinem ersten Termin bekam ich tatsächlich eine Diagnose gestellt. Ich hatte Vaginismus und war nicht verrückt. Auf mich wartete ein sehr langer und steiniger Weg. Es lagen viele Steine im Weg, die beseitig werden mussten und der erste große Brocken war, mit meinem Körper und meiner Vagina eine Freundschaft zu schließen. Ich bekam die Aufgabe mich nackt im Spiegel genau anzuschauen und alleine das fiel mir unheimlich schwer, da ich mich nicht wohlfühlte in meiner Haut, aber es ist einfach ein wichtiger Schritt, denn ohne gesunder Beziehung zu meinem Körper, würde ich nicht vorwärtskommen. Danach musste ich langsam lernen mir selbst den Finger in meine Vagina einzuführen, auch dies mag leichter klingen, als es ist, denn für mich war es wahnsinnig schwer und kostete mich viel Überwindung. Schon ein Finger bereitete mir qualvolle Schmerzen. Die Übungen mit dem Finger wurden Schritt für Schritt gesteigert mit Dilatoren in verschiedenen Größen. Man arbeitete sich von der Größe eines Tampons vor bis zur tatsächlichen Größe des Penis. Es kostete mir so viel Energie, Mut und Kraft, jeden weitern Stein zur Seite zu räumen und weiter nach vorne zu gehen. Oft war meine ganze Hoffnung am Grund des Bodens angelangt und ich dachte, dass mir niemals jemand helfen können würde. Gegenüber meinen Freunden verschwieg ich meine schwer Last, die ich mit mir herum trug, der Scham, nur eine halbe Frau zu sein und einem Mann nicht vollends sexuell erfüllen zu können, war zu groß. 

Stein für Stein in eine neue Welt 

Eine heftige Welle an Verzweiflung traf mich, als ich mit meinem Partner versuchte Geschlechtsverkehr zu haben und es wieder kläglich scheiterte. Es fiel uns nicht leicht, doch irgendwann beschlossen wir uns zu trennen. Wir hatten zu viele negative Erfahrungen gemacht und ich konnte meine Angst vor dem Schmerz einfach nicht mehr niederlegen, ich konnte diese unsichtbare Wand für ihn nicht niederreißen. Mit dem Ende der Beziehung fasste ich mir auch endlich ein Herz und fing an mit meinen Freunden über meine Erkrankung zu reden. Es tat unheimlich gut und ich spürte wie mein Herz langsam etwa leichter wurde. Ich fing an mich mit jemand anderen zu treffen, bei dem ich keinen Druck verspürte nach Erfolg. Bis jetzt hatte ich hauptsächlich in der Missionarsstellung Geschlechtsverkehr, weil ich immer dachte, dass ich mich hier besser entspannen könnte. Doch an einen Abend probierte ich zum ersten Mal die Girl on the Top Stellung aus und ich wusste nicht, wie mir geschah, denn auf einmal spürte ich seinen Penis in meiner Vagina. Ich fühlte zum ersten Mal einen Penis in mir ohne Schmerzen. Ich war außer mir vor Freude und konnte es nicht fassen. Natürlich blieb die Angst, dass es beim nächsten Mal wieder nicht klappen würde, doch das Glück war auf meiner Seite, ich konnte Geschlechtsverkehr haben ohne Schmerzen! Ich war eine Frau, eine die plötzlich nach über 9 Jahren zu funktionieren schien! Ich konnte es nicht glauben. 

Du bist nicht alleine, trau dich, ich höre dich

Vaginismus ist weiter verbreitet, als man glaubt. Es macht einem panische Angst, wenn man solche Schmerzen erlebt und die erste Reaktion ist immer den Fehler bei sich zu suchen. Auch ich dachte damals, dass ich mich einfach blöd anstellen würde, doch wie auch bei anderen Krankheiten gilt, dass extreme Schmerzen niemals normal sind und einen Grund haben. Darüber sprechen ist wohl eines der wichtigsten Dinge, denn sobald ich angefangen habe nicht mehr alles für mich zu behalten und mit Freunden zu sprechen, wurde es leichter den letzten schweren Stein zur Seite zu räumen. Es wird oft unterschätzt wie sehr Reden zur Genesung beitragen kann, doch es ist ein wichtiger Baustein in einem Heilungsprozess und sollte niemals auf die leichte Schulter genommen werden. Nehmt euch die Zeit die ihr braucht!

LocationsAllgemein

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert