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Schleichend nicht mehr ich selbst

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Es fängt mit Stimmungsschwankungen an. Sie schleichen sich langsam in unser Leben und werden bei Frauen stets auf die Menstruation geschoben. „Hast du wieder deine Tage?“ „Ah es ist wieder diese Zeit im Monat dran.“ Sprüche, die man sich anhören darf als Frau, wenn die Stimmung schwankt. Kaum jemand kommt jedoch auf die Idee, dass es auch die künstlichen Hormone sind, die in unserem Körper fließen und uns verändern. Der Einfluss in unser Leben kann so drastisch sein, dass es sogar depressive Zustände in uns auslösen kann. Ein Tabuthema, über das aufgrund der Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen nur wenige Sprechen und noch viel weniger überhaupt glauben schenken.

Verhütung mit Lasten im Gepäck

Ich war circa sechzehn Jahre alt, als auch ich mir die Frage stellt, ob ich anfangen sollte, die Pille zu nehmen. Lange machte ich mir Gedanken darüber, da ich sehr schnell und sehr oft mit Magen/Darmproblemen zu kämpfen hatte und diese, die weit verbreitete Pille unwirksam gemacht hätte. Meine Frauenärztin empfahl mir daraufhin, den Nuvaring zu verwenden, da dieser lokal wirkt. Es schien die perfekte Lösung für mich zu sein. 

Mit der Zeit merkte ich, dass ich mich veränderte. Meine Stimmung drohte stets sehr schnell zu kippen. Ich wurde launisch, reagiert sehr schnell sehr wütend und traurig. Charakterzüge, die ich von mir so nicht gewohnt war.

Kurz vor meinem Auslandsaufenthalt in Dublin 2015, kamen kleiner Panikattacken hinzu. Nachts konnte ich nun oft nur mehr mit Licht einschlafen. Ich versuchte die Panikattacken und meine Stimmungsschwankungen mit autogenem Training in den Griff zu bekommen. An manchen Tagen war es auch tatsächlich besser, an anderen Tagen wiederum war es um einiges schlechter als sonst. Es machte mir Angst, weil ich nicht wusste, was mit mir passierte und woher diese Launen kamen. Ich wusste nur, dass das nicht mehr ich war. 

Die Kugel fängt an zu Rollen

In Dublin verschlimmerte sich mein Zustand drastisch. Meine Angst um meine Beziehung bauschte sich zu einer gewaltigen Kugel auf, die mich zu überrollen drohte. In der Uni konnte ich mich eher weniger konzentrieren, mir fehlte die Motivation, um mit den anderen mitzuhalten. Eigentlich sollte meine Zeit in Irland, die schönste überhaupt werden. Ich wollte so vieles erleben, wandern und die Gegend mit den Menschen hier erkunden, doch ich ertrug die Anwesenheit von meinen Studienkollegen immer schwerer. Immer öfters flüchtete ich auf mein Zimmer, um den Menschen so gut es ging aus dem Weg zu gehen. Ich erwischte mich immer öfters dabei, dass ich in eine unendliche Traurigkeit abrutschte.

Selbst die Ablenkung, die ich rund um mich stets hatte, konnte mich aus diesem Loch nicht heraus holen und so passierte es, dass ich an einem Abend in einer Bar mit Freunden, am Klo verschwand und unkontrolliert anfing zu weinen. Es merkte niemand, doch diese Phasen wurden immer mehr, fünf bis sechs Mal am Tag weinte ich ohne Grund. Nachts lag ich oft im Bett und weinte mich in den Schlaf. Ich war verzweifelt und fragte mich ununterbrochen, was mit mir nicht stimmte. Ich hatte panische Angst davor, dass ich mir selbst irgendwann etwas antun könnte.

Der Kampf um mich selbst

Meine Angst vor dem Tod, wurde so extrem, dass ich mir Hilfe suchte. Ich suchte in Irland eine Therapeutin auf, der ich meine Probleme und Bedenken erzählte. Mit Yoga und Meditation versuchte ich, meine Schübe zu kontrollieren. Als ich an einem Tag in der Uni saß und zu einem Thema recherchierte, stieß ich in einem Forum auf einen Bericht über den Nuvaring. Die Frau kämpfte mit ähnliche Symptome, wie ich sie hatte. Erst als den Ring nicht mehr zur Verhütung verwendete ging es ihr wieder besser. Zuerst dachte ich, ich dürfte die Ursache meiner depressiven Zustände nicht einfach so auf den Verhütungsring schieben. Da ich jedoch im Ausland war und mein Freund zu Hause, beschloss ich den Ring zu entfernen. Ich hatte nichts zu verlieren und wollte einfach herausfinden, ob es mir ohne endlich wieder besser gehen würde.

Meine Haut wurde auf einen Schlag schlechter, ich hatte mit extremer Akne auf der Stirn zu kämpfen. Meine Talgproduktion wurde extrem angeregt und meine Haare waren ständig sofort fettig. Kleinigkeiten, mit denen ich umgehen kann, solange ich wieder zu dem Menschen werde, der ich bin. Nach nur zwei Monaten merkte ich auch bereits die ersten Veränderungen. Meine Stimmungsschwankungen wurden leichter und meine Panikattacken und Angstzuständen verschwanden nach und nach.

Therapie, ein kostbarer Juwel 

Es hat sechs Monate gedauert, bis ich wieder das Gefühl hatte ich selbst zu sein und dass alle Hormone wieder aus meinen Körper waren. Niemals hätte ich gedacht, dass ein Verhütungsmittel, eine so starke psychische Wirkung auf mich haben könnte. Es ist schwierig, heraus zu finden, woher diese Launen kommen, weil sie sich so langsam anschleichen und dich Stück für Stück einnehmen. Man macht sich Sorgen und Gedanken darüber, wie man zu diesem Menschen geworden ist. Verzweifelt versucht man, an sich zu arbeiten und sich zu ändern, ohne daran zu denken, dass der Auslöser auch die Hormone sein könnten.

Auch heute bin ich noch in psychologischer Betreuung, weil ich gemerkt habe, wie wertvoll es ist, mit jemanden regelmäßig darüber zu sprechen, wie es mir geht, sich Zeit nimmt, um sich zu reflektieren, auch wenn ich keine Schwankungen und Schübe mehr habe. Depressionen, egal in welchem Ausmaß sollte kein Tabu Thema sein, absolut nicht, dafür sind sie viel zu wichtig. Mädchen und Frauen gehören zudem viel besser über die Nebenwirkungen von hormonellen Verhütungsmittel aufgeklärt und sie sollten nicht so leicht verschwiegen werden. 

Luci (26 Jahre)

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